Die Krone des Schlangenkönigs - Zusatzkapitel

 

Bruder und Schwester (nach Kapitel 8 aus Adrians Sicht)

 

 

Adrian war müde, erschöpft von der langen Busfahrt und Suche nach Merle. Kaum zwei Tage hatte das Mädchen es bei ihnen ausgehalten, bevor er sie in die Flucht geschlagen hatte. Denn es war klar, dass es seine Schuld war. Seufzend rieb er sich das Gesicht und sank rücklings auf sein Bett. Immerhin hatte er sie wieder. Wie durch ein Wunder hatte er sie noch am Bahnhof abgefangen und überzeugen können, mit ihm nach Hause zu kommen. Mehr als das. Merle wollte versuchen, seine Schwester zu sein.

Adrian stieß ein ungläubiges Lachen aus.

Ich hab eine Schwester. Endlich!

Er konnte es nicht glauben. Jahrelang hatte er sich eine gewünscht, schon als Mama noch bei ihnen gewesen war. Damals, als kleiner Junge, hatte er seinen Eltern ständig damit in den Ohren gelegen, vor allem seiner Mutter, die von Mal zu Mal immer stiller geworden war. Und irgendwann war sie weg gewesen, einfach so, ohne ein Wort des Abschieds. Adrian hatte die Welt nicht mehr verstanden.

"Hat Mama uns denn nicht mehr lieb, Paps? Oder … Hab ich sie vielleicht zu oft gefragt wegen … naja, du weißt schon."

"Unsinn", hatte Paps gesagt und ihm mit einem traurigen Lächeln über den Kopf gewuschelt. Nur das. Viele Worte waren noch nie zwischen ihnen nötig gewesen. Sie waren einfach füreinander da, taten ihr Bestes, um den anderen glücklich zu machen. Und sie waren es, auf ihre Art.

Doch jetzt war alles anders. Heike war da. Und Merle, der sture kleine Wirbelwind, der sein Leben schon nach ein paar Tagen völlig durcheinandergebracht hatte. Anfangs hatte ihm das gar nicht gefallen, denn er hatte nur ein weiteres Mädchen gesehen, das ihm den einzigen ruhigen Platz streitig machte, der ihm noch blieb. Zu Hause konnte er sein, wie er wollte. Nicht Adrian die Sportskanone, der Klassensprecher, Jahrgangsbeste oder Mädchenschwarm. Paps erwartete nie etwas von ihm. Er war zufrieden, so lange Adrian bei ihm blieb, und ihn nicht auch noch verließ, so wie Mama. Nicht, dass einer von ihnen wusste, wo sie steckte.

Adrian seufzte. An Mama wollte er jetzt nicht denken. Dafür aber an Merle, die versuchen wollte, seine Schwester zu sein. Ob sie das konnte? Würde sie ihn und Paps akzeptieren und die Lücke füllen, die Mama vor all den Jahren gerissen hatte? Oder würde sie wieder davonlaufen und ihn mit Paps alleine lassen?

Nein. Merle war anders. Sie war rebellisch und dickköpfig und cool. Adrian war entschlossen, sie zu behalten. Alles, was er dafür tun musste, war, der große Bruder zu sein, von dem sie nicht wusste, dass sie ihn brauchte. Nichts leichter als das. Er hatte sich diese Rolle schließlich schon seit Jahren ausgemalt. Er wusste genau, was er jetzt zu tun hatte. Hoffentlich.





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